Tristan Coignard
Das Kloster in der deutschen Literatur um 1800:
Wandel eines Motivs im Kontext von Säkularisierung
und Politisierung
[...]
2. Das Motiv im Wandel: Umbruch oder Kontinuität?
Der Wandel des Klostermotivs ist insgesamt nicht
so abrupt, wie es der eingangs angeführte offene
Gegensatz zwischen Serafine und Die Elixiere des
Teufels suggeriert. Vielmehr überlagern sich in
der Phase zwischen 1780 und 1815 verschiedene
literarische Strömungen, deren jeweilige Relevanz
von einem Werk zum anderen variieren kann. Dennoch
ist das zunehmend positive Urteil über Klöster
unübersehbar und muss nun in seinen Hauptaspekten
vor allem bei Novalis und Hoffmann skizziert
werden. Ein neues Bild der Mönche entsteht in den
Werken des frühen 19. Jahrhunderts. War die
Atmosphäre im Kloster von Korruption und
Unmenschlichkeit geprägt, so zeichnet sich in Die
Elixiere des Teufels eine Stimmung ab, die am herkömmlichen
Idealtyp des Klosterwesens anknüpft. Medardus hat
im Gegensatz zu Hartungus keine Bedenken
angesichts der Vorzüge des Klosterlebens:
"Die gemütliche Ruhe (...) goß den
himmlischen Frieden in meine Seele."
Dementsprechend wird die Persönlichkeit des Mönchs
anders wahrgenommen. Bei Wackenroder erscheint er
als ein sensibler, seinem Zeitalter nahestehender
Mensch. Hoffmann setzt Persönlichkeiten in Szene,
die sich einer dogmatischen Sichtweise des
Klosterwesens entziehen und dementsprechend als
regelrechte Leitfiguren fungieren: Prior Leonardus
steht deutlich im Gegensatz zu den herrschsüchtigen,
nur auf Einhaltung der Askese bedachten Mönchen
und Äbten. Die Klosterleute erlangen wiederum den
Ruf der Weisheit und des bevorzugten Zugangs zu höherem
Sein.
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Selbst dem bisher übel beleumundeten
Jesuitenorden gewinnt Novalis positive Aspekte ab,
und zwar wegen seiner rettenden Rolle in einer
Zeit, die er als Dekadenz empfindet. In einem
literarischen und kulturellen Kontext der
Individualisierung wird auf den Vorzug der
sinnstiftenden Gemeinschaft geachtet. Im Spiegel
der Kritik durch die Aufklärung überwog die
Auffassung, dass das Kloster ein Ort des sozialen
Zwangs ist. Um 1800 wandelt sich die Wahrnehmung
und kehrt zu einer Vorstellung zurück, die eher
den Eindruck der Zuflucht vermittelt. Im ursprünglichen
Klosterroman wurde zwar auch die Weltflucht im
Kloster gesucht, doch sehr schnell erwies sich
diese Hoffnung als trügerisch. In Die Elixiere
des Teufels endet Menardus’ abwegige Reise nach
Rom mit einer Rückkehr ins Kloster und mit der
damit verbundenen Erlösung. "Von der
heiligen Stätte in das sündliche Leben"
findet er auch wieder den Weg zurück. Auch dessen
Mutter findet im Kloster Linderung für ihren
Weltschmerz. Angesichts dieses Wandels scheint es
legitim, sich zu fragen, weshalb die Haltung der
Literatur auf diese Weise umschlägt. Die
historischen Umständen liefern eine erste Erklärung
für diese Verschiebung; der Einfluss der Orden
nimmt entschieden ab, was dazu führt, dass ihre
politischen Positionen schwächer werden und der
oft maßlosen Kritik deutlicher als 1773 die
Spitze genommen wird. Die Neuentdeckung eines
undogmatischen religiösen Gefühls und das
Eintreten für das Christentum rehabilitieren zwar
die kirchliche Obhut, sind aber als Erklärung im
Falle des Klosters unzulänglich, da das strenge
Ordensleben auf überspitzte Weise die Frage nach
einem möglichen freien Zugang zu Gott und nach
der Entfaltung des Gläubigen aufwirft. Warum soll
gerade das Kloster Zuversicht für die Zukunft
ausstrahlen?
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