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Promotionskolleg Ost-West
Lotman-Institut und
Institut für Deutschlandforschung |
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Laura Fota
Carl Einstein - ein kompromissloser "Revolteur"
1916 wurde Einstein an die Zivilverwaltung
des Generalgouvernements Brüssel, Abteilung
Kolonien, abkommandiert. Zusammen mit der
Freundin Gräfin Aga von Hagen nahm Einstein
politische Kontakte zu pazifistischen Kreisen in
Brüssel auf. Ab 10. Okt. 1918 wurde er Mitglied
der Pressekommission des Soldatenrats Brüssel,
beauftragt mit der Organisation des
Pressedienstes. Von der revolutionären
Stimmung, die infolge der Nachricht von der
erfolgreichen russischen Revolution Brüssel
ergriffen hatte, wurde auch er begeistert.
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Er stimmte sofort Carl Sternheims Plan zu,
eine Enzyclopedie zum Abbruch bürgerlicher
Ideologien herauszugeben.Sein Aufsatz Abhängigkeit,
der 1919 im Blutigen Ernst erschien, sollte ein
Teil der geplanten Enzyklopädie sein. Einstein
setzt hier die Demokratie, wie sie vom Bürgertum
verstanden wird, mit Abhängigkeit gleich. Das
Werkzeug dieser Demokratie sei die bürgerliche
"tödliche Ideologie", die Einheit
vortäusche, um eigentlich Abhängigkeit zu
erzeugen. Demokratie, wie sie von dem Einstein
verhassten, anpassungs- und kompromissbereiten Bürgertum
verstanden werde, bedeute "Erschlagen des
Ursprünglichen". Sie lasse die Menschen zu
einer Masse werden und "halbtot",
"betäubt umherlaufen".
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Der "Bürger" wird hier von
Einstein nicht unbedingt als Vertreter einer
Gesellschaftsklasse verstanden, also nicht als
soziale Kategorie, sondern vielmehr als
menschlicher Typ, als existentielle Kategorie.
Der Bürger braucht diese Art von Demokratie, da
er die Abhängigkeit und Autorität,
Einrichtungen und Beziehungen braucht, weil sie
seinem Leben den notwendigen Halt geben. Der
moralische Bezugspunkt des Bürgers ist stets
der "Andere", der seine Handlungen
kontrolliert. Von der Ideologie der Masse geschützt,
braucht er keine Verantwortung für seine
Handlungen zu übernehmen und tut bloß seine
"Pflicht". Dem Bürger fehlten
"Person" und "Leben", weil
er sich ständig auf den "Anderen"
beziehe, weil er "Angst vor sich selbst
hat". Im Gegensatz zum Bürger steht der
"Unmittelbare", der Arme, "dessen
Handlungen direkt, unideologisch
geschehen". Der "Arme" stellt
hier, wie der "Bürger", einen
menschlichen Typ dar, der, im Gegensatz zum Bürger,
"unmittelbar" lebt,
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d.h. keine Ideologie, keine ständige
Bezugnahme auf andere Personen braucht. Er lebt
für sich, er findet seinen Bezugspunkt in sich
selbst. Einstein unterzeichnete den im
Belgischen Kurier am 11. Nov. 1918 - zwei Tage,
nachdem die deutsche Republik von Philipp
Scheidemann und Karl Liebknecht gleich doppelt
ausgerufen worden war - erschienenen Aufruf des
Brüsseler Arbeiter- und Soldatenrats mit. Er
war diplomatischer Vertreter des
Vollzugsausschusses des Soldatenrats, und als
solcher spielte er eine wichtige aktive Rolle in
den Verhandlungen des Soldatenrats mit den
belgischen Behörden und den Neutralen. Am 10.
November 1918 in Brüssel hatte Einstein, vor
einer Versammlung der Vertreter belgischer Behörden
und der Neutralen, seine Hoffnungen auf ein
neues, "humaneres" Regime zur Sprache
gebracht, das den wilhelminischen Militarismus
nun ersetzen sollte:
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Cet abominable régime impérial a pris fin.
A l’oppression et à la tyrannie qu’il a si
longtemps fait peser sur la Belgique, le Conseil
des ouvrier et des soldats entend faire succéder
dès aujourd’hui un régime d’humanité et
de loyauté. Einstein hatte sich in die Brüsseler
Ereignisse aus reinem Idealismus eingemischt,
was sich aus den Begriffen der "humanité"
und der "loyauté", die er als
Prinzipien des nun einsetzenden politischen
Systems festsetzt, schließen lässt. Was er
sich von der jungen deutschen Republik erhoffte,
war eine Ablösung der bürgerlichen Demokratie,
der bürgerlichen "tödlichen
Ideologie". Einstein wird zu einem Anhänger
des Konzepts einer Räterepublik, wie ihn die
Linksradikalen in der USPD forderten. Hierin
sieht er den eigentlichen Zweck der Revolution
in Deutschland. In einem in der Rätezeitung vom
23. April 1919 unter dem Titel Dr. Breitscheid
und das Rätesystem erschienenen Beitrag,
bekennt sich Einstein zum Kommunismus: Während
der Tagung des Rätekongresses besprachen wir
uns über prinzipielle politische Fragen, nämlich
über das Rätesystem und die Diktatur des
Proletariats. Während ich als Kommunist
selbstverständlich entschieden für diese
Grundforderungen der Revolution und ihre
sofortige Verwirklichung eintrat, lehnten Sie
beides mit durch nichts motiviertem Spott ab.
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Sein offenes Bekenntnis zum Kommunismus ist
jedoch nicht unbedingt als Parteizugehörigkeit
zu verstehen, sondern als prinzipielle
Gesinnung. Christoph Braun schreibt, dass sich
Einstein vorübergehend dem Spartakusbund, der
linksradikalen Gruppierung in der Unabhängigen
Sozial-Demokratischen Partei, anschloss. Ob
Parteimitglied oder nicht, Einstein soll anlässlich
von Rosa Luxemburgs Beerdigung, am 14. Juni
1919, eine "aufreizende" Rede gehalten
haben, wie die Nationalzeitung berichtete: Wie
uns weiter mitgeteilt wird, hatten alle Reden,
die von den Kommunisten anlässlich der
Trauerfeier gehalten wurden, überaus
aufreizenden Charakter. Besonders tat sich in
dieser Beziehung der Kommunist Einstein hervor.
Er erklärte, man müsse alle, die an dem Morde
von Rosa Luxemburg schuld seien, und jene, die
ihn stillschweigend geduldet hätten, überraschend
ausheben und töten. Zu irgendwelchen Zwischenfällen
ist es bis zur Stunde nicht gekommen. Was
Einstein dazu veranlasste mit dem Spartakusbund
zu sympathisieren, war "nicht in erster
Linie das streng marxistische Parteiprogramm,
sondern die kompromisslose Radikalität".
Jene revolutionäre Radikalität, die Einstein
schon 1912 als Revolte definiert hatte und die,
als "stetes Prinzip", nie die
Realisierung eines Ideals anstrebt, politische
Kompromisse nicht eingeht. [...]
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Letzte Änderung: 05.09.2003 | Ansprechpartner/in: Inhalt
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