Politische "Säuberung unter den wirtschaftlichen Führungskräften der SBZ/DDR (1945–1958)



Marcel Boldorf
Governance in der Planwirtschaft
Industrielle Führungskräfte in der Stahl- und Textilbranche der SBZ/DDR (1945–1958) (Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 18), Berlin u.a. 2015.



Projektergebnis:

Das Ausgangsinteresse des Forschungsprojekts war eine umfassende Darstellung der politischen Säuberung im Bereich der Wirtschaft der SBZ/DDR. Die Analyse des vermuteten Zusammenhangs von Entnazifizierung und personeller betrieblicher Reorganisation während der unmittelbaren Nachkriegszeit hat jedoch gezeigt, dass die Entnazifizierung zwar eine gewisse Bedeutung für den Führungskräfteaustausch größerer Unternehmen hatte, aber andere Faktoren wie die Westmigration in der SBZ eine ebenso große Rolle spielten. Darüber hinaus verhinderte die Entnazifizierung keineswegs das Nachrücken alter Kräfte aus der zweiten Reihe an die Betriebsspitze. Erst das Stalinisierungsjahr 1948 markierte einen tiefgreifenden personellen Umbruch in den betrieblichen Führungsetagen. Wie sich weiter zeigte, hatten die neu ausgewählten Führungskräfte je nach Position, die sie einnahmen, einem Bündel von Faktoren zu genügen. Die alleinige Feststellung der Parteizugehörigkeit, d.h. der meist vorliegende Ausweis als SED-Mitglied, erwies sich für das Verständnis der Personenauswahl als unzureichend.
In einem zweiten Schritt richtete sich das Erkenntnisinteresse auf das Handeln der Führungskräfte und die Governance-Struktur. Dabei stellte sich insbesondere die Frage, auf welche Art sich der Übergang der Verfügungsrechte und der damit verbundene Aktionsradius von den Vorbesitzern auf die Behörden vollzogen. Die Ergebnisse fielen dabei für die untersuchten Branchen der Eisen- und Stahlindustrie und der Textilindustrie unterschiedlich aus. Während die Verantwortlichen in der Textilindustrie traditionell exportorientiert agierten und anfangs auch entsprechend handelten, sorgte erst der politische Druck, der durchaus auch die Entlassung von Direktoren zur Folge haben konnte, dafür, dass die Betriebsleitungen den von den staatlichen Planern forcierten sowjetischen autarkiewirtschaftlichen Leitbildern folgten. Die Eisen- und Stahlindustrie stand zwar autarkiewirtschaftlichen Zielsetzungen grundsätzlich positiver gegenüber, glaubte aber auf die westdeutschen Kokslieferungen weiterhin angewiesen zu sein. Auch hier führte politischer Druck zu einer Verhaltensänderung. So bestand besonders für die nachrückenden Führungskräfte Anlass, im Hinblick auf Westkontakte vorsichtig vorzugehen.

Unter dieser Prämisse des Anpassungsdrucks unter den älteren und der Aufstiegsbedingungen unter den jungen Führungskräften fiel die Orientierung auf das von der SED geforderte Autarkieregime leicht. So war bspw. die von den Planern vorangetriebene Nutzung von Ersatzstoffen oder Materialien geringer Qualität in der Textilindustrie trotz eines entgegenstehenden Betriebsinteresses durchsetzbar.