’Arisierung’ und Restitution jüdischer Unternehmen in Gelsenkirchen

Am 15. September 2001 titelte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung in ihrer Gelsenkirchener Lokalausgabe: „Vorbehalte gegen eine Fritz-Szepan-Straße“. Es folgte ein Artikel, in dem darüber berichtet wurde, dass die Stadt Gelsenkirchen eine Beschlussvorlage für die Politik zurückgezogen habe, in der vier Straßen im Umfeld der neu errichteten „Arena Auf Schalke“ nach verdienten früheren Spielern des FC Schalke 04 hätten benannt werden sollen, darunter auch Fritz Szepan. Grund für die Rücknahme der Vorlage waren gegen Szepan laut gewordene Vorwürfe, dass dieser im Zuge der von den Nationalsozialisten vollzogenen Enteignung jüdischer Geschäfte und Unternehmen, die sie selbst „Arisierung“ nannten, in unbotmäßiger Weise erheblichen wirtschaftlichen Nutzen aus der Übertragung des ehemaligen Textilkaufhauses Julius Rode & Co gezogen habe. Dieses war bis 1938 in jüdischem Besitz und im Zuge der sog. „Arisierung“ an die Ehefrau Szepans übereignet worden.

Der Hintergrund für die Rücknahme der Vorlage war ein Hinweis aus den Reihen der Gelsenkirchener Ratsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Ratsausschuss für Stadtentwicklung und –planung, wonach Fritz Szepan im Rahmen der von den Nationalsozialisten sog. „Arisierung“ gewissermaßen zum Schleuderpreis ein vormals in jüdischem Besitz befindliches Geschäft übernommen habe. In der Folgezeit wurde bundesweit eine zum Teil überaus erregte öffentliche Diskussion in den Medien ausgetragen, ob Fritz Szepan nun ein NS-Gewinnler gewesen sei oder nicht. Auch fand in dieser Phase eine innerstädtische von Vorwürfen und Angriffen gegen die Historiker des ISG nicht immer freie Auseinandersetzung mit dem „skandalösen“ Thema statt. Die Debatte sollte erst allmählich verebben, als aufgrund einer vom ISG gefertigten Quellen- bzw. Materialsammlung zum Verhalten Fritz Szepans im „Dritten Reich“ sowie eines Gutachtens des Hamburger Zeithistorikers Frank Bajohr definitiv festgestellt werden konnte, dass Szepan in exorbitanter Weiser von der „Arisierung“ des Rodeschen Kaufhauses profitiert hatte.

Daraufhin beantragte die SPD-Fraktion im Rat der Stadt Gelsenkirchen, sich dabei ausdrücklich auf „die Diskussion um die Straßenbenennung nach Fritz Szepan“ beziehend, für die Sitzung am 21. März 2001 den Tagesordnungspunkt „Wissenschaftliche Aufarbeitung sogenannter ‚Arisierungen’ in Gelsenkirchen während der Zeit des NS-Regimes“ vorzusehen. In der Begründung zu diesem Antrag hieß es: „Mit Hilfe des Instituts für Stadtgeschichte und auch externer Hilfe muss dieses dunkle Kapitel der Stadtgeschichte umfassend aufgearbeitet und verdeutlicht werden, wie das Nazi-Regime nicht nur im Großen von oben, sondern auch hier in Gelsenkirchen systematisch jüdische Geschäftsleute ausplünderte und diese später oftmals deportieren ließ.“ Der Rat folgte diesem Antrag in seiner Sitzung am 21. März 2002 einstimmig.

Das Institut für Stadtgeschichte wurde nunmehr beauftragt, in Zusammenarbeit mit noch zu suchenden Kooperationspartnern anhand einiger exemplarischer Fälle die Vorgänge im Kontext der Enteignung jüdischen Vermögens für den Raum Gelsenkirchen zu untersuchen und zu dokumentieren.

[Textauszug: H.-J. Priamus, Was die Nationalsozialisten „Arisierung“ nannten, S. 9-11]

Die Untersuchung von insgesamt zehn „Arisierungs“-Fällen, darunter neben kleineren Geschäften und mittleren Unternehmen auch die bedeutende Stahlhandelsgesellschaft M. Stern AG, wurde im Rahmen zweier Magisterarbeiten am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte der RUB durch Carsten Kaiser und Thomas Lamsfuss durchgeführt und veröffentlicht.

 

Heinz-Jürgen Priamus
Was die Nationalsozialisten "Arisierung" nannten.
Wirtschaftsverbrechen in Gelsenkirchen während des "Dritten Reiches"(Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte, Beiträge Bd. 13), Essen 2007.


Inhalt:

Heinz-Jürgen Priamus:
Was die Nationalsozialisten "Arisierung" nannten

Dieter Ziegler:
Die wirtschaftliche Verfolgung der Juden im "Dritten Reich"

Constantin Goschler:
Rückerstattung in Westdeutschland - Konzeptionen, Praxis, Perspektive

Stefan Goch:
Die "Arisierung" eines Kleinkaufhauses in Schalke - Der "Fall Szepan"

Carsten Kaiser/Thomas Lamsfuss:
Enteignung und Bereicherung - zehn Beispiele