Unternehmensstrategien und Innovationskultur – Die synthetische Treibstoffherstellung der deutschen chemischen Industrie 1925 - 1950

Es ist eine mittlerweile etablierte Sichtweise, dass die Darstellung der Akteure in der nationalsozialistischen Wirtschaft sich nicht allein auf die Innensicht der staatlichen bzw. Parteibürokratie beschränken darf, sondern vielmehr die Unternehmen einbeziehen muss. Dennoch dominiert nach wie vor eine Perspektive, in der das Handeln von Unternehmern, Militärs und Vertretern von Partei und Staat politisch zurechenbar gemacht wird. Das Hauptaugenmerk wird dabei gewöhnlich auf die „phänomenologische Analyse der Zielkongruenz“ von Industrie, Militär und Regime gelenkt, durch die wenig über die Perspektiven der Unternehmen in der Rüstung selbst ausgesagt werden kann. Das gilt erst für Ziele und Perspektiven, die über die Rüstung hinauswiesen.


Das Projekt über „Unternehmensstrategien und Innovationskultur – Die synthetische Treibstoffherstellung der deutschen Chemischen Industrie 1925 – 1950“ soll diese verengte Perspektive der Primat-Diskussion sowie die auf die I.G. Farbenindustrie AG und die Autarkiewirtschaft zugeschnittene Diskussion zugunsten einer erweiterten, längerfristigen und vergleichenden Perspektive aus unternehmens- und technikhistorischer Sicht öffnen. Anhand von Fallbeispielen der I.G. Farbenindustrie, der bislang kaum beachteten Ruhrchemie AG sowie einer Reihe von bislang ebenfalls wenig erforschten Lizenznehmerunternehmen der synthetischen Treibstoffindustrie soll gezeigt werden, dass hinsichtlich der jeweiligen Unternehmensstrategien gerade nicht „vor allem kurz- und mittelfristige Geschäftskalkulationen“ im Rahmen der von der I.G. Farben dominierten Autarkiewirtschaft zugrunde lagen, sondern dass diese nur im Rahmen längerfristiger Unternehmensstrategien unter Berücksichtigung technologischer Pfadabhängigkeiten und mit Blick auf verbundwirtschaftliche und zukunftsorientierte Ziele angemessen beurteilt werden können. Es geht also weniger um die „Primat“-Frage als vielmehr um lang-, mittel- und kurzfristige Strategien von staatlicher und besonders von unternehmerischer Seite, die nicht immer kompatibel waren. Während von staatlicher Seite kurz- und mittelfristige Interessen der Autarkiewirtschaft und der Kriegsvorbereitung dominierten, reichten die strategischen Überlegungen der Unternehmen darüber hinaus. Es wird sich herausstellen, dass die zu untersuchenden Unternehmen im Sinne einer chemietechnisch vernetzten Diversifikationsstrategie auf längerfristige, von NS-Wirtschaftsinteressen unabhängige Ziele setzten, wobei ihnen bei der Wahl der technischen Verfahren auch im Rahmen der Autarkiewirtschaft weitgehend freie Hand gelassen wurde. Aus Sicht der Unternehmen sollte dies schließlich den unternehmerischen Erfolg auch über die Kriegswirtschaft hinaus, mit Blick auf die erwartete Wiederherstellung einer weltwirtschaftlichen Konkurrenzsituation, garantieren.